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Rechtsprechung // Designrecht



BGH, Urteil vom 07.10.2020 - I ZR 137/19

Papierspender - Der Schutzfähigkeit eines Erzeugnisses als (Gemeinschafts-)Geschmacksmuster steht es nicht entgegen, dass für dasselbe Erzeugnis ein technisches Schutzrecht beantragt oder erteilt wurde

Verordnung (EG) Nr. 6/2002 Art. 8 Abs. 1

Leitsätze:*

1. Um zu klären, ob die Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses unter Art. 8 Abs. 1 GGV fallen, sind alle für den Einzelfall maßgeblichen objektiven Umstände zu würdigen. Hierzu gehören auch die objektiven Umstände, aus denen die Motive für die Wahl der Erscheinungsmerkmale des betreffenden Erzeugnisses deutlich werden (vgl. EuGH, Urteil vom 08.03.2018 - C-395/16 - DOCERAM). Es geht insoweit nicht um die Feststellung des subjektiven Entwerferwillens, sondern um die Feststellung von Umständen, in denen sich dieser nach außen erkennbar manifestiert hat. Die Ansprüche, Beschreibungen und Zeichnungen einer Offenlegungsschrift sind als objektive Umstände in diesem Sinne grundsätzlich geeignet, weil sie Aufschluss darüber geben können, welche Merkmale die dem Patent zugrundeliegende technische Lehre verwirklichen und daher zumindest auch technisch bedingt sind

2.

a) Der Schutzfähigkeit eines Erzeugnisses als (Gemeinschafts-)Geschmacksmuster steht es nicht entgegen, dass für dasselbe Erzeugnis ein technisches Schutzrecht beantragt oder erteilt wurde (Fortführung von BGH, Urteil vom 9. Februar 1966 - Ib ZR 13/64, GRUR 1966, 681, 683 [juris Rn. 31] - Laternenflasche).

b) Die Ansprüche, Beschreibungen und Zeichnungen der Patentoffenlegungsschrift für ein Erzeugnis zählen zu den für den Einzelfall maßgeblichen objektiven Umständen, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 8. März 2018 - C-395/16, GRUR 2018, 612 Rn. 38 = WRP 2018, 546 - DOCERAM) bei der gemäß Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (GGV) vorzunehmenden Prüfung zu würdigen sind, ob Erscheinungsmerkmale ausschließlich durch die technische Funktion des Erzeugnisses bedingt sind. Die Patentoffenlegungsschrift kann Aufschluss darüber geben, welche Merkmale des Erzeugnisses die dem Patent zugrundeliegende technische Lehre verwirklichen und daher zumindest auch technisch bedingt sind.

c) Jedoch erlaubt das Fehlen von Erwägungen zur visuellen Erscheinung des Erzeugnisses in einer Patentoffenlegungsschrift für sich genommen genauso wenig den Schluss auf die ausschließlich technische Bedingtheit eines Erscheinungsmerkmals wie das Vorhandensein von Erwägungen zu dessen technischer Funktion. Vielmehr ist in beiden Fällen zu prüfen, ob außerhalb der Patentoffenlegungsschrift liegende Umstände auf eine visuelle Bedingtheit des betreffenden Erscheinungsmerkmals hindeuten.

MIR 2021, Dok. 001


Anm. der Redaktion: Leitsätz 2 a) bis c) sind die amtlichen Leitsätze des Gerichts.
Download: Entscheidungsvolltext PDF

Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 04.01.2021
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3042

*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.

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