Rechtsprechung // Wettbewerbsrecht
BGH, Urteil vom 11.10.2017 - I ZR 210/16
Portierungsauftrag - Die erneute systematische und planmäßige Zuleitung von, von Kunden widerrufenen Portierungsaufträgen durch einen Telekomunikationsanbieter an einen Wettbewerber stellt eine gezielte Behinderung dar
UWG § 4 Nr. 4
Leitsätze:*1. Nach § 4 Nr. 4 UWG handelt unlauter, wer Mitbewerber gezielt behindert. Das setzt eine Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltungsmöglichkeiten der Mitbewerber voraus, die über die mit jedem Wettbewerb verbundene Beeinträchtigung hinausgeht und bestimmte Unlauterkeitsmerkmale aufweist. Unlauter ist die Beeinträchtigung im Allgemeinen, wenn gezielt der Zweck verfolgt wird, Mitbewerber an ihrer Entfaltung zu hindern und sie dadurch zu verdrängen oder wenn die Behinderung dazu führt, dass die beeinträchtigten Mitbewerber ihre Leistung am Markt durch eigene Anstrengung nicht mehr in angemessener Weise zur Geltung bringen können. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, lässt sich nur aufgrund einer Gesamtwürdigung der relevanten Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Interessen der Mitbewerber, Verbraucher oder sonstiger Marktteilnehmer sowie der Allgemeinheit beurteilen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 22.06.2011 - I ZR 159/10 - Automobil-Onlinebörse; BGH, Urteil vom 23.06.2016 - I ZR 137/15, MIR 2017, Dok. 001 - Fremdcoupon-Einlösung; BGH, Urteil vom 12.01.2017 - I ZR 253/14 - World of Warcraft II).
2. Das Eindringen in einen fremden Kundenkreis und das Ausspannen sowie das Abfangen von Kunden gehören grundsätzlich zum Wesen des Wettbewerbs. Eine unlautere Behinderung des Mitbewerbers liegt erst vor, wenn auf Kunden, die bereits dem Wettbewerber zuzurechnen sind, in unangemessener Weise eingewirkt wird, um sie als eigene Kunden zu gewinnen oder zu erhalten. Das ist insbesondere der Fall, wenn sich der Abfangende gewissermaßen zwischen den Mitbewerber und dessen Kunden stellt, um diesem eine Änderung seines Entschlusses aufzudrängen, die Waren oder Dienstleistungen des Mitbewerbers in Anspruch zu nehmen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 24.11.2011 - I ZR 154/10 - Mietwagenwerbung; BGH, Urteil vom 23.06.2016 - I ZR 137/15, MIR 2017, Dok. 001 - Fremdcoupon-Einlösung). Ebenso ist es unlauter, wenn das betreffende Verhalten nicht auf eine Änderung des Kundenentschlusses gerichtet ist, sondern derjenige, der eine zur Ausführung des Entschlusses des Kunden notwendige Mitwirkungshandlung vornehmen muss, diese weisungswidrig so vornimmt, dass der Kunde auf sein Unternehmen umgelenkt wird. Eine unangemessene Einwirkung auf den Kunden ist daher auch gegeben, wenn dessen Auftrag, eine Telekommunikationsdienstleistung derart zu erbringen, dass auch die Telekommunikationsdienstleistungen eines anderen Anbieters in Anspruch genommen werden können, auftragswidrig bewusst so ausgeführt wird, dass nicht die Dienstleistungen des fremden Anbieters, sondern die eigenen in Anspruch genommen werden (BGH, Urteil vom 29.03.2007 - I ZR 164/04 - Änderung der Voreinstellung I; BGH, Urteil vom 05.02.2009 - I ZR 119/06 - Änderung der Voreinstellung II).
3. Ein Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen handelt gemäß § 4 Nr. 4 UWG unlauter, wenn er zu seinen Gunsten von Kunden eines Wettbewerbers erteilte, vor Ausführung widerrufene Portierungsaufträge in Kenntnis des Widerrufs erneut systematisch und planmäßig dem Wettbewerber zuleitet, so dass der unzutreffende Eindruck entsteht, die Kunden hätten sich zum wiederholten Male zu seinen Gunsten entschieden.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 31.01.2018
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2852
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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