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Rechtsprechung // Zivilrecht



BGH, Urteil vom 14.03.2017 - VI ZR 721/15

Unzulässige E-Mail-Werbung und (verdeckte) Generalleinwilligung - Zum Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb durch unverlangte Werbe-E-Mails

BGB §§ 305 ff., 307 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 3 Satz 2, 1004, 823; BDSG § 28; UWG § 7

Leitsätze:*

1. Die ohne wirksame Einwilligung an eine geschäftliche E-Mail-Adresse versandte Werbe-E-Mail stellt einen Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar (Fortführung von BGH, Urteil vom 12. September 2013 - I ZR 208/12, GRUR 2013, 1259).

2. Eine wirksame Einwilligung in den Empfang elektronischer Post zu Werbezwecken setzt u.a. voraus, dass der Adressat weiß, dass seine Erklärung ein Einverständnis darstellt, und dass klar ist, welche Produkte oder Dienstleistungen welcher Unternehmen sie konkret erfasst. Eine vorformulierte Einwilligungserklärung ist an den §§ 305 ff. BGB zu messen (Fortführung von BGH, Urteil vom 25. Oktober 2012 - I ZR 169/10, GRUR 2013, 531).

3. Zur Anwendbarkeit von § 28 Abs. 1 Nr. 2 BDSG, wenn der zur Unterlassung von Werbung mittels elektronischer Post Verpflichtete die E-Mail-Adresse des Betroffenen gegen dessen Willen nutzen möchte, um sie zu Lösch- oder Sperrzwecken an seine Werbepartner weiterzuleiten.

4. Nach § 28 Abs. 1 Nr. 2 BDSG ist das Erheben, Speichern, Verändern oder Übermitteln personenbezogener Daten oder ihre Nutzung als Mittel für die Erfüllung eigener Geschäftszwecke zulässig, soweit es zur Wahrung berechtiger Interessen der verantwortlichen Stelle erforderlich ist und kein Grund zu der Annahme besteht, dass das schutzwürdige Interesse des Betroffenen an dem Ausschluss der Verarbeitung oder Nutzung überwiegt. Dabei kann die Interessenabwägung grundsätzlich auch dann zugunsten der verantwortlichen Stelle ausfallen, wenn der Betroffene der Datenverarbeitung (ausdrücklich) widersprochen hat. Es ist insoweit ein berechtigtes Interesse des Verpflichteten, seine aus einem bestehenden Unterlassungsanspruch ergebende Verpflichtung zur Folgenbeseitigung zu erfüllen. Es erscheint insoweit nicht ausgeschlossen, dass eine zur Wahrung dieses berechtigten Interesses erforderliche und nach der gebotenen Interessenabwägung zulässige Maßnahme - die beispielsweise in der einmaligen Weitergabe der Adresse nur zum Zwecke ihrer Löschung aus den von den Werbepartnern der Beklagten verwendeten Verzeichnissen liegen könnte - des Unterlassungsschuldners trotz des Widerspruchs des Unterlassungsgläubigers eine ausreichende Folgenbeseitigung ermöglicht.

5. Das unverlangte Zusenden von Werbe-E-Mails (hier: durch ihre Werbepartner des verantwortlichen Unternehmens) stellt einen rechtswidrigen Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar. Dabei kommen die Maßstäbe des § 7 UWG zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen auch im Rahmen der Prüfung eines Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gemäß § 823 Abs. 1 BGB zur Anwendung (vgl. BGH, Urteil vom 21.04.2016 - I ZR 276/14, MIR 2016, Dok. 017 - Lebens-Kost; BGH, Urteil vom 20.05.2009 - I ZR 218/07, MIR 2009, Dok. 170 - E-Mail-Werbung II). Gegenstand des Schutzes ist die Verhinderung des Eindringens des Werbenden in die geschäftliche Sphäre, insbesondere die Ungestörtheit der Betriebsabläufe des sonstigen Marktteilnehmers; es soll verhindert werden, dass dem Marktteilnehmer Werbemaßnahmen gegen seinen erkennbaren und mutmaßlichen Willen aufgedrängt werden (vgl. BGH, Urteil vom 21.04.2016 - I ZR 276/14, MIR 2016, Dok. 017 - Lebens-Kost). Verhindert werden soll darüber hinaus, dass die belästigende Werbung zu einer Bindung von Ressourcen des Empfängers führt (BGH, Urteil vom 01.06.2006 - I ZR 167/03 - Telefax-Werbung II). Unverlangt zugesendete E-Mail-Werbung erfolgt betriebsbezogen und beeinträchtigt den Betriebsablauf im Unternehmen des Empfängers. Das Verwenden von E-Mails mit unerbetener Werbung, die der Empfänger jeweils einzeln sichten muss und bei denen ein Widerspruch erforderlich ist, um eine weitere Zusendung zu unterbinden, führt zu einer nicht unerheblichen Belästigung (vgl. BGH, Urteil vom 12.09.2013 - I ZR 208/12, MIR 2013, Dok. 073 - Empfehlungs-E-Mail; BGH, Urteil vom 20.05.2009 - I ZR 218/07, MIR 2009, Dok. 170 - E-Mail-Werbung II).

MIR 2018, Dok. 001


Anm. der Redaktion: Leitsätze 1 bis 3 sind die amtlichen Leitsätze des Gerichts.

Im Falle unverlangter E-Mail-Werbung wird dem Löschungsverlangen des Betroffenen in der Praxis häufig mit der Begründung widersprochen, die weitere Speicherung der E-Mail-Adresse im Rahmen eines sogenannten Sperrvermerks sei u.a. nach § 28 Abs. 1 Nr. 2 BDSG rechtmäßig, gerade um künftig sicherzustellen, dass keine unverlangte E-Mail-Werbung mehr an diese Adresse versandt wird. Dies betrifft naheliegend indes nur solche Werbenden, die ohnehin (was bereits bedenklich ist) nicht sicherstellen können (oder wollen), dass lediglich E-Mail-Adressen verwendet werden, für die - bezogen auf die jeweilige konkrete Werbung - eine entsprechende, rechtmäßige Einwilligung der Empfänger vorliegt. Über die im vorliegenden Fall vom Bundesgerichtshof in Betracht gezogene, einmalige Übermittlung an Dritte zum Zwecke der Löschung (vgl. LS Nr. 4) dürfte eine weitere Speicherung indes regelmäßig rechtswidrig und die Voraussetzungen von § 28 Abs. 1 Nr. 2 BDSG insoweit nicht gegeben sein. (RA Thomas Ch. Gramespacher)
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Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 08.01.2018
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2846

*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.

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