Rechtsprechung // Urheberrecht
BGH, Urteil vom 16.05.2013 - I ZR 216/11
Kinderhochstühle im Internet II - Hat der Betreiber einer Internetplattform Anzeigen im Internet geschaltet, die über einen elektronischen Verweis unmittelbar zu schutzrechtsverletzenden Angeboten führen, treffen ihn erhöhte Kontrollpflichten.
BGB § 830 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2; TMG § 7 Abs. 2 Satz 1; UrhG § 2 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2; ZPO § 137 Abs. 3 Satz 1, § 253 Abs. 2 Nr. 2
Leitsätze:*1.
a) Im Klageantrag und in der Urteilsformel braucht nicht schon zum Ausdruck zu kommen, dass das Verbot auf die Verletzung von Prüfpflichten gestützt ist; vielmehr reicht es aus, dass sich dies mit ausreichender Deutlichkeit aus der Klagebegründung und den Entscheidungsgründen ergibt.
b) Hat der Betreiber einer Internetplattform Anzeigen im Internet geschaltet, die über einen elektronischen Verweis unmittelbar zu schutzrechtsverletzenden Angeboten führen, treffen ihn erhöhte Kontrollpflichten. Ist der Plattformbetreiber in diesem Zusammenhang auf klare Rechtsverletzungen hingewiesen worden, muss er die über die elektronischen Verweise in seinen Anzeigen erreichbaren Angebote auf problemlos und zweifelsfrei erkennbare Schutzrechtsverletzungen überprüfen.
2. Als Störer kann bei der Verletzung absoluter Rechte auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer - ohne Täter und Teilnehmer zu sein - in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung des geschützten Rechts beiträgt (BGH, Urteil vom 22.07.2010 - I ZR 139/08, MIR 2010, Dok. 177 - Kinderhochstühle im Internet I). Dabei kann als Beitrag auch die Unterstützung oder Ausnutzung der Handlung eines eigenverantwortlich handelnden Dritten genügen, sofern der Inanspruchgenommene die rechtliche Möglichkeit zur Verhinderung dieser Handlung hatte. Da die Störerhaftung nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden darf, die weder als Täter noch als Teilnehmer für die begangene Urheberrechtsverletzung in Anspruch genommen werden können, setzt die Haftung des Störers die Verletzung zumutbarer Verhaltenspflichten, insbesondere von Prüfpflichten, voraus. Ob und inwieweit dem als Störer Inanspruchgenommenen eine Prüfung zuzumuten ist, richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung seiner Funktion und Aufgabenstellung sowie mit Blick auf die Eigenverantwortung desjenigen, der die rechtswidrige Beeinträchtigung selbst unmittelbar vorgenommen hat (BGH, Urteil vom 17.05.2001 - I ZR 251/99 - ambiente.de; BGH, Urteil vom 15.05.2003 - I ZR 292/00 - Ausschreibung von Vermessungsleistungen; BGH, Urteil vom 12.05.2010 - I ZR 121/08, MIR 2010, Dok. 083 - Sommer unseres Lebens). Für die Frage der Zumutbarkeit der Verhinderungen von Rechtsverletzungen Dritter ist erheblich, ob der als Störer Inanspruchgenommene ohen Gewinnerzielungsabsicht zugleich im öffentlichen Interesse handelt (BGH, Urteil vom 17.05.2001 - I ZR 251/99 - ambiente.de; BGH, Urteil vom 19.02.2004 - I ZR 82/01 - kurt-biedenkopf.de) oder aber eigenen erwebswirtschaftliche Zwecke verfolgt und etwa - wie der Betreiber einer Internethandelsplattform - durch die ihm geschuldete Provision an dem schutzrechtsverletzenden Verkauf von Erzeugnissen beteiligt ist (BGH, Urteil vom 11.03.2004 - I ZR 304/01 - Internet-Versteigerung I). Weiter ist darauf abzustellen, ob die geförderte Rechtsverletzung eines Dritten aufgrund einer unklaren Rechtslage erst nach eingehender rechtlicher (BGH, Urteil vom 01.04.2004 - I ZR 317/01 - Schöner Wetten) oder tatsächlicher Prüfung (BGH, Urteil vom 22.07.2010 - I ZR 139/08, MIR 2010, Dok. 177 - Kinderhochstühle im Internet I) festgestellt werden kann oder aber für den als Störer Inanspruchgenommenen offenkundig und unschwer zu erkennen ist (GH, Urteil vom 17.05.2001 - I ZR 251/99 - ambiente.de; BGH, Urteil vom 11.03.2004 - Az. I ZR 304/01 MIR 2005, Dok. 010 (Leitsätze) - Internetversteigerung I; BGH, Urteil vom 19.04.2007 - I ZR 35/04, MIR 2007, Dok. 246 - Internet-Versteigerung II).
3. Eine allgemeine Prüfungspflicht von Diensteanbietern im Sinne der §§ 8 bis 10 TMG für die von Nutzern auf ihre Server eingestellten Dateien besteht nicht. Nach § 7 Abs. 2 Satz 1 TMG sind Diensteanbieter insoweit nicht verpflichtet, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hindeuten. Überwachungspflichten allgemeiner Art sind ausgeschlossen. Nicht ausgeschlossen sind dagegen Überwachungspflichten in spezifischen Fällen. Diensteanbieter, die von Nutzern bereitgestellte Informationen speichern, müssen außerdem die nach vernünftigem Ermessen von ihnen zu erwartende und in innerstaatlichen Rechtsvorschriften niedergelegte Sorgfalt aufwenden, um bestimmte Arten rechtswidriger Tätigkeiten aufzudecken und zu verhindern (mit Verweis auf: Erwägungsgrund 48 der Richtlinie 2000/31/EG; vgl. BGH, Urteil vom 18.11.2010 - I ZR 155/09 - Sedo; BGH, Urteil vom 12.07.2012 - I ZR 18/11 - Alone in the Dark).
4. Der Betreiberin einer Internethandelsplattform ist es grundsätzlich nicht zuzumuten, jedes Angebot vor Veröffentlichung im Internet auf eine mögliche Rechtsverletzung hin zu untersuchen (vgl. EuGH, Urteil vom 12.07.2011 - C-324/09 - L'Oréal/eBay; BGH, Urteil vom 17.08.2011 - I ZR 57/09 - Stiftparfüm; für einen Internetserviceprovider: EuGH, Urteil vom 24.11.2011 - C-70/10 - Scarlet/SABAM; für den Betreiber eines sozialen Netzwerks: EuGH, Urteil vom 16.02.2012 - C-360/10, MIR 2012, Dok. 011 - Netlog/SABAM). Wird die Betreiberin einer solchen Plattform indes auf eine klare Rechtsverletzung hingewiesen, muss sie nicht nur das konkrete Angebot unverzüglich sperren, sondern auch Vorsorge treffen, dass es möglichst nicht zu weiteren derartigen Schutzrechtsverletzungen kommt (BGH, Urteil vom 22.07.2010 - I ZR 139/08, MIR 2010, Dok. 177 - Kinderhochstühle im Internet I; BGH, Urteil vom 30.04.2008 - I ZR 73/05,MIR 2008, Dok. 183 - Internetversteigerung III; BGH, Urteil vom 17.08.2011 - I ZR 57/09 - Stiftparfüm; EuGH, Urteil vom 12.07.2011 - C-324/09, Rn. 119 und 141 - L'Oréal/eBay).
Verlässt ein Anbieter dagegen seine neutrale Vermittlerposition und spielt eine aktive Rolle, die ihm Kenntnis von bestimmten Daten oder Kontrolle über sie verschaffen konnte (hier: durch Schaltung von Anzeigen, die unmittelbar zu schutzrechtsverletzenden Angeboten führen), wird er hinsichtlich dieser Daten nicht vom Anwendungsbereich von Art. 14 der Richtlinie 2000/31 über den elektronischen Geschäftsverkehr erfasst (vgl. EuGH, Urteil vom 12.07.2011 - C-324/09, Rn. 113 und 116 - L'Oréal/eBay). Insoweit kann er sich auch nicht auf das Haftungsprivileg in Art. 14 Abs. 1 und Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31/EG und von § 7 Abs. 2 TMG berufen (BGH, Urteil vom 17.08.2011 - I ZR 57/09 - Stiftparfüm).
Bearbeiter: RA Thomas Gramespacher
Online seit: 12.11.2013
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2512
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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