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Rechtsprechung



Hanseatisches OLG, Urteil vom 04.02.2009 - 5 U 167/07

Keine Störerhaftung des Betreibers eines Internetforums - Im Rahmen zulässiger Geschäftsmodelle ist deren Betreiber grundsätzlich nicht verpflichtet sein Angebot ohne konkreten Anlass "proaktiv" auf jedwede Art möglicher Rechtsverstöße hin zu überprüfen und diese zu verhindern, bevor er überhaupt Kenntnis von begangenen oder drohenden Rechtsverletzungen erhalten hat.

UrhG §§ 19a, 97, 97a; BGB §§ 823 Abs. 1, 1004; TMG § 7 Abs. 1

Leitsätze:*

1. Die Haftung des Störers setzt die Verletzung von Prüfungspflichten voraus, deren Umfang sich danach bestimmt, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen nach den Umständen des Einzelfalles eine Prüfung zuzumuten ist (vgl. BGH, Urteil vom 30.04.2008 - Az. I ZR 73/05 - Internetversteigerung III, MIR 2008, Dok. 183; BGH, Urteil vom 19.04.2007 - Az. I ZR 35/04 - Internetversteigerung II, MIR 2007, Dok. 246; BGH, Urteil vom 11.03.2004 - Az. I ZR 304/01 - Internetversteigerung I, MIR 2005, Dok. 010; BGH, GRUR 1997, 313 - Architektenwettbewerb, BGH, GRUR 1994, 841 - Suchwort, BGH, GRUR 1999, 428 - Möbelklassiker, BGH, Urteil vom 17.05.2001 - Az. I ZR 251/99 - ambiente.de), und zwar mit Blick auf die Eigenverantwortung desjenigen, der die rechtswidrige Beeinträchtigung unmittelbar vorgenommen hat (BGH, Urteil vom 15.05.2003 - Az. I ZR 292/ 00 - Ausschreibung vom Vermessungsleistungen). Die Störerhaftung darf nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden.

2. Im Rahmen zulässiger Geschäftsmodelle (hier: Betrieb eines Internetforums zum Themenbereich Kochrezepte) ist deren Betreiber nicht verpflichtet, sein Angebot ohne konkreten Anlass "proaktiv" auf jedwede Art möglicher Rechtsverstöße hin zu überprüfen und diese zu verhindern, bevor er überhaupt Kenntnis von begangenen oder drohenden Rechtsverletzungen erhalten hat. Umfassende und lückenlose Prüfungspflichten setzen stets konkrete Anhaltspunkte voraus.

3. Allein der Umstand, dass der Betreiber eines Internetforums willentlich eine "Gefahrenquelle" eröffnet und aufrechterhält, aus der Rechtsverletzungen fließen können, rechtfertigt es nicht, den Betreiber einschränkungslos und ohne vorherige Kenntnis hierfür zu Verantwortung zu ziehen.

4. Verhaltenspflichten des Störers entstehen erst mit Wirkung für die Zukunft. Prüfungspflichten greifen entsprechend erst dann ein, wenn der als Störer in Anspruch Genommene darauf hingewiesen wird, dass eine beanstandete Maßnahme (oder ein bestimmter Inhalte) Rechte Dritter verletzt (bereits: BGH, Urteil vom 17.05.2001 - Az. I ZR 251/99 - ambiente.de; entsprechend: Hanseatisches OLG, AfP 2000, 285 - Golden Jackpot).

5. Der Unterlassungsanspruch gegen den Störer setzt die vorherige Kenntniserlangung von einer Rechtsverletzung, das Entstehen von Prüfungspflichten grundsätzlich die Kenntnis eines konkreten Rechtsverstoßes voraus. Die erste Information des möglichen Störers wirkt insofern nur "haftungsbegründend". Die Erstverletzung und die daran anknüpfende Information durch den Rechteinhaber kann nicht Grundlage einer Wiederholungsgefahr sein, da diese eine bereits begangene Rechtsverletzung (des Störers, eben durch die Verletzung von Prüfungspflichten) voraussetzte. Die abweichende Ansicht des LG Hamburg (Urteil vom 24.08.2007 - Az. 308 O 245/07, MIR 2007, Dok. 335) steht im Widerspruch zu der höchstrichterlichen Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs.

6. Die Möglichkeit eines anonymen Handelns Dritter stellt im Rahmen der Störerhaftung kein die Verantwortlichkeit begründendes Merkmal dar. Zwischen der Anonymität und einer konkreten Rechtsverletzung (hier: Urheberrechtsverletzung im Rahmen eines Internetforums) fehlt es regelmäßig schon an dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang. Dies gilt jedenfalls soweit nicht bereits das gesamte Geschäftsmodell des Anbieters keinen Schutz der Rechtsordnung verdient (vgl. Hanseatisches OLG, Urteil vom 02.07.2008 - Az. 5 U 73/07 - Rapidshare).

7. Zur Möglichkeit eines vorbeugenden Unterlassungsanspruchs gegen den Störer nach den Grundsätzen der Erstbegehungsgefahr, wenn der Störer bereits Kenntnis von Rechtsverletzungen hatte und inhaltsgleiche Verletzungen eines anderen Schutzguts des Verletzten drohen (vgl. BGH, Urteil vom 19.04.2007 - Az. I ZR 35/04 - Internetversteigerung II, MIR 2007, Dok. 246 bezüglich der Verletzung von nationalen, IR- und Gemeinschaftsmarken; hier: verneint).

8. Die Kosten für die erste Information des möglichen Störers über eine Rechtsverletzung (hier: durch eine Abmahnung) hat der Abmahnende zu tragen, da diese Maßnahme allein in seinem Interesse erfolgt, um die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, den Adressaten bei künftigen Folgeverstößen als Störer in Anspruch nehmen zu können. der Abmahnende führt insoweit kein Geschäft im Interesse des Abgemahnten (vgl. bereits Hanseatisches OLG, AfP 2000, 285 - Golden Jackpot).

9. Zur Frage, wann der Betreiber eines Internetforums sich durch Dritte eingestellte Inhalte "zu eigen macht", mit der Folge, der Verantwortlichkeit für eigene Inhalte i.S.v. § 7 Abs. 1 TMG.

MIR 2009, Dok. 068


Anm. der Redaktion: Die Revision wurde nicht zugelassen. Die Entscheidung der Vorinstanz ist veröffentlicht in MIR 2007, Dok. 335. Vgl. zum Thema auf gleicher Linie: Hanseatisches OLG, Urteil vom 04.02.2009 - Az. 5 U 180/07, MIR 2009, Dok. 067.
Die Entscheidung wurde eingesandt von den Mitgliedern des 5. Senats des Hanseatischen Oberlandesgerichts.
Download: Entscheidungsvolltext PDF

Bearbeiter: RA Thomas Gramespacher
Online seit: 24.03.2009
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1909

*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.

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