Rechtsprechung
OLG Stuttgart, Beschluss vom 04.02.2008 - 2 U 71/07
Widerrufsbelehrung im eBay-Handel - Zu Fragen des Beginns der Widerrufsfrist und der Belehrung über die Wertersatzpflicht des Verbrauchers für die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme von Waren sowie zum Streitwert bei einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung im eBay-Handel.
BGB §§ 126b, 312c Abs. 1, Abs. 2, §§ 346, 355 Abs. 2 Satz 1, 357 Abs. 3; EGBGB Art. 240; BGB-InfoV §§ 1 Abs. 1 Nr. 10, 14 Abs. 1; UWG § 4 Nr. 11
Leitsätze:*1. Eine Widerrufsbelehrung (hier im Internet bei eBay abrufbar), die nicht darüber informiert, dass die
Widerrufsfrist nicht vor Erhalt der Belehrung in Textform beginnt verstößt gegen § 312c Abs. 1 BGB, Art. 240 EGBGB
i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 10 BGB-InfoV und stellt einen Verstoß gegen Marktverhaltensregeln i.S.v. § 4 Nr. 11 UWG dar.
2. Das (bloße) Bereithalten einer einsehbaren und vom Verbraucher herunterladbaren und/oder ausdruckbaren Online-Widerrufsbelehrung
auf einer Auktionsplattform (hier: eBay - etwa auf der "Mich"-Seite oder in den Angeboten) genügt nicht den Anforderung
an eine "Mitteilung in Textform" i.S.v. §§ 355 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 126b BGB. Die "Mitteilung in Textform" setzt
nicht nur voraus, dass die Widerrufsbelehrung in der vorgeschriebenen Textform erstellt, sondern dem Verbraucher
auch in dieser Form zugehen muss. Insoweit besteht etwa ein deutlicher Unterschied zwischen der (dauernden) Abrufbarkeit
auf einer Internetseite und der Übersendung einer E-Mail. Es kommt darauf an, dass die Erklärung in hinreichend
perpetuierter Form in den Herrschaftsbereich des Verbrauchers gelangt. Insoweit ungenügend ist auch, dass
eBay die Angebote noch 90 Tage nach Vertragsschluss bereithält, auch wenn das Angebot dann vom Verkäufer nicht
mehr geändert werden kann. Denn auch hier hat der Verbraucher letztlich auf die Speicherung und die dauernde
Abrufbarkeit der Erklärung keinen Einfluss.
3. Eine Widerrufsbelehrung nur mit der Formulierung "Im Übrigen können Sie die Wertersatzpflicht vermeiden, indem
Sie die Sache nicht wie ihr Eigentum in Gebrauch nehmen" ist intransparent und irreführend, als sich aus ihr nicht
ergibt, dass eine Ersatzpflicht bei einer Verschlechterung der Kaufsache infolge bestimmungsgemäßer
Ingebrauchnahme nur eintritt, wenn spätestens bei Vertragschluss in Textform hierauf hingewiesen wird
(§ 357 Abs. 3 Satz 1 BGB). Es wird der irrige Eindruck erweckt, allein durch die Ingebrauchnahme der Sache könne die
Wertersatzpflicht eintreten. Dies ist aber nur möglich, wenn rechtzeitig in Textform belehrt wird.
Eine solche Formulierung verstößt dann gegen § 312c Abs. 1 BGB i.V.m. § 1 Nr. 10 BGB-InfoV (Tranzparenzgebot).
4. Die Regelungen des § 357 Abs. 3 BGB werden nicht durch § 312c Abs. 2 Nr. 2 BGB insoweit verdrängt, als bei
Fernabsatzgeschäften eine Belehrung in Textform erst bei Lieferung der Ware vorliegen muss. Vielmehr besteht
ein Spezialverhältnis im umgekehrten Sinn, da § 312c Abs. 2 Satz 1 BGB als sich auf die bei jedem
Fernabsatzgeschäft vorzunehmenden Pflichtangaben bezieht, während § 357 Abs. 3 Satz 1 BGB sich nur auf eine
(fakultative) Abbedingung von § 357 Abs. 1 BGB i.V.m. § 346 Abs. 2 Nr. 3 BGB bezieht.
5. Auf die Schutzwirkungen des § 14 Abs. 1 BGB-InfoV kann sich der Unternehmer nur berufen, wenn er das Muster
unverändert (ausgenommen der Gestaltungshinweise und die nach § 14 Abs. 3 BGB-InfoV zugelassenen weiteren Angaben)
verwendet. Dies folgt daraus, dass die Verwendung des Musters und nicht die einzelner Musterbedingungen
privilegiert ist. Einzelne Änderungen können in Ausnahmen allenfalls dann die Schutzwirkung unberührt lassen, wenn
zu Lasten des Verbrauchers gehende Unrichtigkeit des Musters berichtigt wurden.
6. Die Vorschriften, welche die Belehrung des Verbrauchers über Widerrufsrechte regeln, stellen
Marktverhaltensregeln zum Schutze der Verbraucher dar, weshalb eine unterbliebene, falsche oder
unzureichende Belehrung nach § 4 Nr. 11 UWG unlauter ist.
7. Der Streitwert je Fehler in einer Widerrufsbelehrung ist mit 2.500,00 EUR zu bewerten.
Bearbeiter: RA Thomas Gramespacher
Online seit: 29.02.2008
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1530
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
// Artikel gesammelt "frei Haus"? Hier den MIR-Newsletter abonnieren
OLG Bremen, Beschluss vom 16.07.2021 - 1 W 18/21, MIR 2021, Dok. 061
Clickbaiting - Rechtswidriger Eingriff in den vermögensrechtlichen Zuweisungsgehalt des Rechts am eigenen Bild durch Nutzung des Bildnisses einer prominenten Person im Internet als "Klickköder"
BGH, Urteil vom 21.01.2021 - I ZR 120/19, MIR 2021, Dok. 018
Perfekte Zähne? - Unzulässiges Erfolgsversprechen bei der Werbung für ein kieferorthopädisches Zahnschienen-System
Oberlandesgericht Frankfurt a.M., MIR 2020, Dok. 030
Verweis auf bestimmte Einstellungen in einem Kundenverwaltungssystem unzulässig - Zum Widerspruch gegen die Verwendung einer E-Mail-Adresse zur Übersendung von Werbung
AG München, Urteil vom 05.08.2022 - 142 C 1633/22, MIR 2022, Dok. 061
Doppelnatur - Die Antragsbefugnis von Wirtschaftsverbänden und qualifizierten Einrichtungen (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 und Nr. 3 UWG) muss auch im Ordnungsmittelverfahren fortbestehen
OLG Hamm, Beschluss vom 15.05.2023 - 4 W 32/22, MIR 2023, Dok. 041