Rechtsprechung
OLG Naumburg, Urteil vom 13.07.2007 - 10 U 14/07
Internethandel mit Computerartikeln - Zur Einhaltung der Textform, zur Widerrufsfrist und zum Fristbeginn im Internethandel (hier: eBay). Zur Annahme des Missbrauchsvorwurfs bei einer "Vielzahl von Abmahnungen".
BGB §§ 312c Abs. 2 Nr. 2, 312d Abs. 2, 355 Abs. 2; UWG §§ 3, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4
Leitsätze:*1. Von einem Missbrauch i. S. d. § 8 Abs. 4 UWG ist auszugehen, wenn das beherrschende Motiv des
Gläubigers bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs sachfremde, für sich gesehen nicht
schutzfähige Interessen und Ziele sind. Ein Fehlen oder ein gänzliches Zurücktreten legitimer
wettbewerblicher Ziele ist indessen nicht erforderlich; die sachfremden Erwägungen müssen nicht
das alleinige Motiv des Gläubigers sein, allerdings überwiegen und den beherrschenden Zweck der
Rechtsverfolgung darstellen (BGH "Mega Sale" WRP 2006, 354 ff.; OLGR Naumburg, 2006, 499 f. jeweils m. w. N.).
Indizien für einen Rechtsmissbrauch können insofern sein: ein systematisches, massenhaftes Vorgehen,
eine enge personelle Verflechtung zwischen dem Abmahnenden und dem beauftragten Anwalt, eine weit
überhöht in Ansatz gebrachte Abmahngebühr und kein nennenswertes wirtschaftliches Eigeninteresse.
Eine Vielzahl von Abmahnungen (hier: etwa 100) allein ist als Indiz aber nicht geeignet, um den Missbrauchstatbestand
zu begründen.
2. Die Ausnutzung des "fliegenden" Gerichtsstandes des §§ 14 Abs. 2 UWG, 35 ZPO stellt keine unzulässige
Rechtsausübung dar. Die Gerichtswahl nach § 35 ZPO kennt grundsätzlich keine Einschränkung. Auch wenn
der (Verfügungs-) Kläger auf diese Weise die Rechtsprechung verschiedener Gerichte "testen" will, ist ihm
diese Möglichkeit durch die gesetzlichen Vorschriften eröffnet.
3. Eine Widerrufsbelehrung, die lediglich auf der Internetseite des Anbieters und am Bildschirm lesbar
dargestellt ist, erfüllt nicht die Anforderungen an die Textform i.S.d. §§ 355 Abs. 2 Satz 1, 126b BGB.
Gemäß § 126b BGB erfordert Textform, dass die Erklärung in einer Urkunde oder auf anderer zur dauerhaften Wiedergabe in
Schriftzeichen geeigneten Weise abgegeben wird (Perpetuierung der Erklärung). Diese Perpetuierungsfunktion ist
durch die Darstellung in einem Internetauftritt allein noch nicht erfüllt, da der Text in diesem Fall nicht dauerhaft
beim Verbraucher verbleibt. Allein die Möglichkeit, dass der Verbraucher die Belehrung aufgrund eines eigenen zusätzlichen
Willensentschlusses ausdrucken oder abspeichern könnte, ändert daran nichts. Kann eine (weitere) Widerrufsbelehrung in Textform
erst nach Vertragsschluss erfolgen (wie bei eBay der Fall) beträgt die Widerrufsfrist daher einen Monat.
4. Eine Widerrufsbelehrung mit der Formulierung "Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung" verstößt gegen
§ 312d Abs. 2 BGB. Nach § 312d Abs. 2 BGB beginnt die Widerrufsfrist bei der Lieferung von Waren nicht vor dem
Tage ihres Eingangs beim Empfänger. Durch eine Belehrung diesen Inhalts wird aber der Eindruck erweckt, dass die
Widerrufsfrist schon vorher, nämlich mit dem Lesen des Textes auf dem Bildschirm beginnt.
5. Die Fehlerhaftigkeit einer solchen Belehrung wird auch nicht durch § 14 Abs. 1 BGB-InfoV ausgeschlossen, wenn
der Verwender die Musterbelehrung der Anlage 2 zu § 1 BGB-InfoV wortidentisch übernimmt. Zwar ordnet § 14 Abs. 1
BGB-InfoV an, dass die Belehrung den Anforderungen des § 355 Abs. 2 BGB und den diesen ergänzenden Vorschriften des
Bürgerlichen Gesetzbuches genügt, wenn das Muster der Anlage 2 in Textform verwandt wird. Zunächst wäre hierzu überhaupt
eine Verwendung in Textform erforderlich (hier: verneint). Weiterhin kann § 14 Abs. 1 BGB-InfoV
einen Verstoß gegen die Belehrungspflichten aber nicht heilen, da die Belehrungspflichten (etwa § 312d Abs. 2 BGB)
als direkte Umsetzung des vorrangigen Gemeinschaftsrechts und als formelles Gesetz der BGB-InfoV als Rechtsverordnung vorgehen.
BGB und BGB-InfoV stehen insofern normhierarchisch nicht auf der gleichen Ebene.
6. Die Nichtbeachtung der §§ 312c Abs. 2 und 312d Abs. 2 BGB stellt einen Gesetzesverstoß i.S.d. § 4 Nr. 11 UWG dar.
Dieser ist auch nicht unerheblich (§ 3 UWG) und weist wettbewerbliche Relevanz auf. Zwar dürfte im Fall eines Marktes,
an dem eine Vielzahl von Mitbewerbern teilnehmen (hier: Internethandel mit Computerartikeln), eine unzutreffende Widerrufsbelehrung
bei einem einzigen Mitbewerber für die Marktpositionen der anderen kaum ins Gewicht fallen. Anders ist dies jedoch dann zu beurteilen,
wenn eine Vielzahl von Konkurrenten fehlerhafte Belehrungen verwendet. Insoweit ist für die Frage der Erheblichkeit auf
die Summe der Einzelverstöße abzuheben. Weiterhin ergibt sich die Erheblichkeit eines solchen
Verstoßes aus dem Interesse der Allgemeinheit an der Einhaltung der Verbraucherschutzbestimmungen.
7. Im Fall einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung kann eine Streitwertbemessung von 2.000,00 EUR je (Belehrungs-) Fehler angemessen sein.
8. Aus der Unterscheidung zwischen dem zwingenden und dem fakultativen Inhalt eines Schriftsatzes
ergibt sich, ob und inwieweit in dem Schriftsatz Bezugnahmen auf beigefügte Anlagen zulässig sind.
Der zwingende Inhalt kann durch eine Bezugnahme allerdings nicht ersetzt, allenfalls erläutert oder belegt werden (hier: Vortrag
der Umstände, aus denen sich der Missbrauchseinwand - § 8 Abs. 4 UWG - vermeintlich ergeben könnte, gegenüber der
bloßen Bezugnahme auf ein betreffendes Urteil).
Ein besonderer Dank für die Mitteilung der Entscheidung gilt Herrn RA Sascha Kremer, Mönchengladbach (www.kremer-legal.com).
Bearbeiter: Thomas Gramespacher
Online seit: 31.12.2007
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1463
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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