Rechtsprechung
LG Düsseldorf, Urteil vom 23.05.2007 - 12 O 151/07
Usenet und Störerhaftung - Ein Usenet-Provider ist als Host-Provider und nicht nur als Access- oder Cache-Provider zu qualifizieren und kann nach den allgemeine Grundsätzen als Störer für Rechtsverletzungen auf Unterlassung in Anspruch genommen werden.
BGB § 1004, UrhG §§ 16, 17, 19a; TDG 2001 §§ 8 Abs. 2, 11
Leitsätze:*1. Wie sich aus § 8 Abs. 2 TDG (nunmehr § 7 Abs. 2 TMG) ergibt, ist die Haftungsprivilegierung
des § 11 TDG (nunmehr § 10 TMG) nicht auf Unterlassungsansprüche anwendbar (BGH, GRUR 2004, 860, 862 f.).
Im Rahmen des Unterlassungsanspruchs haftet in entsprechender
Anwendung des § 1004 BGB jeder als Störer für eine Schutzrechtsverletzung, der - ohne selbst Täter
oder Teilnehmer zu sein - in irgendeiner Weise willentlich sowie adäquat kausal zur Verletzung eines
geschützten Gutes beiträgt (BGHZ 148, 13, 17). Um eine solche Haftung aber nicht über Gebühr auf
Dritte zu erstrecken, die nicht selbst die rechtswidrige Beeinträchtigung vorgenommen haben,
ist Voraussetzung für die Haftung als Störer eine Verletzung von Prüfungspflichten.
Deren Umfang bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch
Genommenen nach den Umständen eine Prüfung zuzumuten ist
(BGH GRUR 2004, 860, 864; BGH GRUR 1999, 418, 419 f.). Art und der Umfang der gebotenen Prüf-
und Kontrollmaßnahmen bestimmen sich hierbei nach Treu und Glauben.
2. Indem ein Usenet-Provider auf seinem Server urheberrechtlich geschütztes Material zum
Download bereithält, trägt dieser zur Verletzung der ausschließlichen Verwertungsrechte
an diesen bei (hier: Das Musikstück/Musikwerk "Mitternacht" der unter dem Künstlernamen
bekannt Sängerin "La Fee").
3. Wenn der Usenet-Provider es Dritten willentlich ermöglicht, eine Musikdatei ins Internet zu
stellen und so eine Rechtsverletzung zu begehen, bietet er damit eine Plattform mit den
infrastrukturellen Voraussetzungen für Rechtsverletzungen (hier: Für die Verletzung
von Urheberrechten). Dies ist adäquat kausal für die Schutzrechtsverletzung. Denn adäquat
ist eine Bedingung dann, wenn das Ereignis im Allgemeinen und nicht nur unter besonderen
eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge
außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet ist, einen Erfolg der fraglichen Art
herbeizuführen (BGH NJW 2005,1420,1421 m.w.N.).
4. Ein Usenet-Provider ist dann als sog. Host-Provider und nicht nur als Access-Provider
(Zugangsdiensteanbieter) oder Cache-Provider zu qualifizieren, wenn er nicht nur lediglich
den Zugang zu Informationen und (binären) Dateien im Usenet vermittelt oder diese nur weiterleitet, sondern diese Informationen und Dateien mindestens 30 Tage abrufbar hält und dies je nach
Anforderungshäufigkeit auch unmittelbar auf seinen eigenen Servern.
5. Bei der Ermittlung der im Rahmen der Prüfungs- und Überwachungspflichten zumutbaren Maßnahmen ist
auf die Funktion und Aufgabenstellung des als Störer in Anspruch Genommenen abzustellen.
Im Fall eines Usenet-Providers ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, ob dieser von der Nutzung des
rechtsverletzenden Angebots unmittelbar wirtschaftlich profitiert und unmittelbaren Zugriff auf
die bei ihm liegenden Inhalte hat.
6. Ein Usenet-Provider ist technisch und rechtlich in der Lage, eine Rechtsverletzung durch
über seine Server vorgehaltene Informationen und (Binär-) Dateien zu unterbinden.
Dies gilt jedenfalls dann und ist auch nicht unangemessen, wenn sich diese Pflicht auf die Beseitigung der
konkreten Verletzung beschränkt und wenn von dem Usenet-Provider nicht verlangt wird, alle eingestellten
Beiträge und Dateien zu überprüfen, sondern ihn lediglich auf Grund eines konkreten Hinweises eine Pflicht
zum Eingreifen trifft.
"Caching" bedeutet die automatische, zeitlich begrenzte Zwischenspeicherung von Informationen zum Zwecke einer effizienteren - etwa ladezeitoptimierten - Ãœbermittlung.
Ein besonderer Dank für die Übersendung der Entscheidung gilt Herrn RA Sascha Kremer, Mönchengladbach (www.kremer-legal.com).
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 30.05.2007
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1234
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
// Artikel gesammelt "frei Haus"? Hier den MIR-Newsletter abonnieren
Bundesgerichtshof, MIR 2023, Dok. 005
E-Mail-Lesebestätigung - Nutzt ein Rechtsanwalt im Kanzleibetrieb die E-Mail-Korrespondenz, muss er die Kenntnisnahme von Nachrichten (hier betreffend den Ablauf der Revisionsfrist) sicherstellen
BGH, Beschluss vom 18.11.2021 - I ZR 125/21, MIR 2022, Dok. 013
Versiegelte Waren?! - Widerrufsrecht besteht beim Fernabsatzkauf einer Matratze auch nach Entfernung einer Schutzfolie
EuGH, Urteil vom 27.03.2019 - C‑681/17, MIR 2019, Dok. 011
Rechtsmissbrauch bei über 240 Abmahnungen im Jahr wegen Verstößen gegen Informationspflichten zur OS-Plattform
Oberlandesgericht Frankfurt a.M., MIR 2020, Dok. 084
Kundenbewertungen auf Amazon - Keine wettbewerbsrechtliche Haftung eines Anbieters bei Amazon für Kundenbewertungen Dritter, wenn er sich derartige Bewertungen nicht zu eigen macht
BGH, Urteil vom 20.02.2020 - I ZR 193/18, MIR 2020, Dok. 020